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Corona wird jetzt zur Grippe – zumindest bei der Impfung

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Erstmals ist in der EU ein angepasster Corona-Impfstoff zugelassen, der nicht monatelang am Menschen erprobt wurde. Anders wird es künftig kaum gehen.

Diese Entscheidung ist vor allem auf den zweiten Blick etwas Besonderes. Am Montag hat die Europäische Kommission einen weiteren Impfstoff von BioNTech vorläufig zugelassen, der an die Omikron-Variante des Coronavirus angepasst ist. Eine gute Nachricht, allerdings kaum aufsehenerregend. Doch dieser Impfstoff, der sich gegen die derzeit vorherrschenden Sublinien BA.4 und BA.5 richtet, verändert Grundsätzliches. Anders als alle seine Vorgänger wurde er noch nicht an Menschen getestet. Es gibt noch keine klinischen Daten über ihn.

Damit schlägt die zuständige Europäische Arzneimittel-Agentur (Ema), die die Zulassung empfohlen hatte, eine neue Richtung im Kampf gegen Corona ein. Bleibt sie dabei, könnten die Vorteile von mRNA-Impfstoffen besser genutzt werden, um schneller reagieren zu können, wenn das Virus sich erneut verändert.

Erst Anfang September hatte die Ema die ersten an Omikron angepassten Impfstoffe zur Zulassung empfohlen, um den Immunschutz in der Bevölkerung zu boostern: Es sind Mittel, die je zur Hälfte zusammengesetzt sind aus dem ursprünglichen Impfstoff und einer an Omikron-BA.1 angepassten Komponente. Hier forderte die Ema deshalb noch, dass die Hersteller BioNTech und Moderna klinische Daten vorlegen, aus denen ersichtlich ist, wie gut die Immunreaktion ist, die die veränderten Impfstoffe bei Menschen hervorrufen. Außerdem bewertete die Behörde Daten zu ihrer Verträglichkeit. All das zu erheben, vorzulegen und zu prüfen, dauerte. So konnte die EU den BA.1-Booster erst zulassen, als die Variante längst verdrängt war. Das hat sich nun geändert.

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Eine Grundsatzentscheidung

Für den jüngst zugelassenen Impfstoff gegen BA.4/5 gibt es diese Daten nicht. Weil er sich kaum von dem Mittel gegen BA.1 unterscheidet, hat die Ema dessen Immunogenitäts- und Sicherheitsdaten einfach auf den Nachfolger übertragen. Dazu kommen Daten zum Herstellungsprozess, die belegen, dass EU-Qualitätsstandards eingehalten werden. Weiterhin zog die Ema Evidenz aus Versuchen an Mäusen heran, die zeigt, dass mit dem BA.4/5 adaptierten Booster geimpfte Tiere eine starke Immunantwort gegen diese und frühere Varianten ausbilden. Deshalb erwartet die Ema, dass der neue Impfstoff auch Menschen besser gegen BA.4/5 schützt als der bisher verwendete und auch ähnlich sicher ist. Die Hersteller müssen aber Daten vom Einsatz des Impfstoffs an Menschen nachliefern, die Ema prüft diese dann fortlaufend. Zum Einsatz zugelassen ist das Mittel aber schon jetzt.

Die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA hatte bereits Ende August zwei an BA.4/5 angepasste Impfstoffe freigegeben. Zunächst war nicht klar, ob die Ema diesem Beispiel folgen würde. Viele Fachleute begrüßen, dass sie es nun getan hat. „Ich sehe darin eine gewisse Grundsatzentscheidung der Ema, die ich prinzipiell richtig finde“, sagt der Infektiologe und Impfstoffforscher Leif Erik Sander von der Berliner Charité im Gespräch mit ZEIT ONLINE. Es sei nachvollziehbar, den BA.1-Impfstoff umfassend zu prüfen und nun zu entscheiden, für weitere Anpassungen nicht den gleichen Umfang an Daten zu benötigen.

Denn: „Für eine klinische Studie ist es nicht damit getan, Leute zu impfen und Antikörper zu messen“, sagt Sander. Mit der Beantragung und Genehmigung der Studie, der Rekrutierung der Probanden und der Auswertung der Ergebnisse vergehen Monate. „Würden Hersteller vor jeder Zulassung eines adaptierten Impfstoffs wieder neue klinische Studien durchführen müssen, liefe man Gefahr, immer zu spät zu sein, wenn eine neue Variante auftritt.“

Die generelle chemische Zusammensetzung des Impfstoffs ändert sich nicht.

Leif Erik Sander, Impfstoffforscher

Die BioNTech-Impfstoffe bestehen aus kleinsten Partikeln, in denen sich die mRNA befindet – also der Code, anhand dessen der Körper Geimpfter die Spikeproteine des Coronavirus nachbaut. „Dieser lange Code unterscheidet sich zwischen den angepassten Impfstoffen nur an ein paar Stellen“, sagt Sander. „Die generelle chemische Zusammensetzung des Impfstoffs ändert sich damit nicht.“ Deshalb ließe sich gerade auch in Hinblick auf die Sicherheit von einem Impfstoff auf den anderen schließen. Laut den bisherigen Studien vertragen Geimpfte den BA.1-Booster ebenso gut wie den Originalimpfstoff.

Sander rechnet fest damit, dass die Entscheidung der Ema auch bei künftigen Coronavirusvarianten Bestand hat, die sich möglicherweise stärker von Omikron unterscheiden. Denn auch dann sei die Änderung, die am Impfstoff vorgenommen werden muss, vergleichsweise klein. „Die mRNA-Technologie bietet die Möglichkeit, die Mittel schnell anzupassen, und diesen Vorteil sollte man nutzen“, sagt Sander.

Auf Anfrage von ZEIT ONLINE gibt sich die Ema aber noch zurückhaltend. Die Entscheidung zum BA.4/5-Booster sei nicht zwingend auf noch kommende angepasste Impfstoffe zu übertragen. Es sei jedoch „nicht auszuschließen, dass wir im Laufe der Zeit zu einem ähnlichen Rahmen übergehen, wie er für Grippeimpfstoffe besteht“.

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Quelle

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